Kuriositäten


Wahlkampf

Der Wahlkampf in Brasilien kann einem durchaus kurios erscheinen. Es gilt eine allgemeine Wahlpflicht, daß heißt man muß abstimmen oder am Wahltag in einem Wahlbüro erscheinen und begründen warum man nicht wählen geht. Es wird elektronisch per Wahlcomputer abgestimmt und der Wähler muß die richtige Zahlenfolge seines Kandidaten eingeben. Während Präsidentschaftskandidaten oder Bürgermeister eine zweistellige Nummer haben, können es bei Dezernenten auf Komunalebene durchaus 5 oder 6 Stellen sein. Entsprechend groß ist der Aufwand der Kandidaten im Wahlkampf den Wählern möglichst einprägsam ihre Nummer in den Kopf zu hämmern.

Die Kandidaten treten in der Wahlwerbung oft mit Ihren Spitznamen auf. Unter dem Bild eines brasilianischen Präsidenten steht also beispielsweise nicht “Luíz Inácio da Silva” sondern einfach “Lula”. Auch alle anderen Kandidaten bis zur kommunalen Ebene treten zumeist ebenfalls mit ihrem Vor− oder Spitznamen auf und heißen dann zum Beispiel Chico, Fafa, Tante Bia oder Guri.

Während man etwa in Deutschland Wahlplakate und Schilder eines der wichtigsten Werbungsformen darstellen, sind diese in Brasilien weniger anzutreffen. Wenn dann sind es eher größere Banner, die Menschen auf ihren Grundstücken aufstellen um allen zu zeigen wem ihre Stimme gilt.

Das weitaus wichtigste Wahlwerbemittel sind Häuserwände und Mauern. Hier werden die Namen der Kandidaten zusammen mit ihrer Nummer aufgepinselt und das möglichst überall wo man auch hinsieht. Während sich Bewohner in ärmeren Vierteln unter Umständen freuen, daß ihr Häuschen überhaupt einmal ein wenig Farbe bekommt, sieht man an anderen Wänden teilweise 20, 30 mal den selben Namen − es soll sich ja wie gesagt ins Gedächtnis einbrennen.

Wahlkampf in Favela   Mauer im Wahlkampf

Diese Strategie geht teilweise sogar soweit, daß “überflüssige Details” wie der Name des Kandidaten oder die von ihm repräsentierte Partei (von Parteiprogrammen ist üblicherweise sowieso nie die Rede) weggelassen werden und sich der Wahlkampf auf einen schlichten Nummernkampf reduziert, Hauptsache es wird später die “richtige” Nummer am Wahlcomputer eingegeben.

Wahlkampf in Brasilien   Wahlkampf in Brasilien

Bei dem folgenden Bild war vielleicht ein Wahlhelfer von “15” zuerst da und hat sich entschlossen nach der Nummer mit dem Pinseln aufzuhören. Später kam dann wohl ein Wahlhelfer von “22” vorbei und dachte sich: “Hier ziehe ich einfach mal einen geschickten senkrechten Trennstrich und bringe mit größeren Zahlen meinen Kandidaten in Stellung”. Leider hat dann der weiße Hintergrund von seinem Konkurrenten für die 2 neuen Zahlen nicht gereicht. Vielleicht steht der Wähler also vor der Entscheidung: Nehme ich den besser grundierten 15er oder den halbgrundierten 22er?

Wahlkampf in Brasilien

Als weiteres gewichtiges Mittel werden im Wahlkampf auch auf Autodächer oder Trucks geschnallte große Lautsprecherboxen (so genannte Trio Eletricos) eingesetzt. Wenn der potenzielle Wähler schon nicht immer wieder die gleichen Nummern lesen will oder kann, werden ihm die Nummern und Kandidaten zusätzlich auf der Straße lautstark aufgedrängt. Das geschieht meist mit einprägsamen Ohrwürmern oder in der Bevölkerung populären Musikrichtungen wie Axé, Samba, Forro sowie anderen allgemein beliebten Musikrichtungen. Die Trios fahren zu allen möglichen (und unmöglichen) Zeiten kreuz und quer durch die Straßen, um ihre Botschaft zu vermitteln. An eine Beschwerde wegen Lärmbelästigung denkt dabei niemand.

Des weitern gibt es noch die Autowerbung. Alles was Platz bietet also Dach, Motorhaube, Kofferklappe und Türen und Scheiben werden mit zum Teil lebensgroßen Aufklebern der Kandidaten und ihren Nummern zugepflastert, Hauptsache man kann als Fahrer noch halbwegs die Straße auf der man fährt erkennen. Auch einige Mopeds und Motorräder sind vom Tank bis zum Auspuff mit Aufklebern bedeckt und wenn der begrenzte Platz nicht reicht dann kann man ja auch mit draht die gute alte Fahne an seinem Gefährt befestigen. Natürlich wird auch ausgiebig auf das Fernsehen mit entsprechenden Wahlwerbespots zurückgegriffen.

Viele Brasilianer sind nicht politisch motiviert aber wenn es schon per Gesetz Pflicht ist zu wählen, dann sind sie mit Leidenschaft beim Wahlkampf dabei, während das End− bzw. Wahlergebnis eigentlich oft nicht so sehr interessiert.


Hier noch eine weitere Anekdote des brasilianischen Wählerverhaltens. Es geht um den brasilianischen Clown Tiririca (was zu Deutsch so viel wie "der Mürrische" bedeutet), der bei den Kongresswahlen 2010 in Brasilien so richtig abgeräumt und die meisten (also 1.35 Millionen) Stimmen errungen hat. Der zweitplazierte Abgeordnete kam nur auf rund 560.000 Stimmen. Wie Tiririca das geschafft hat? Mit Fernsehwahlwerbung wie dieser hier: